Früher war Kera Rachel Cook international als Model gefragt. Heute spricht sie vor Jugendlichen über das Thema Essstörungen. Ein Thema, über das sie aus eigener Erfahrung berichten kann.
Auch sie hat als Schülerin im Biologie-Unterricht von Essstörungen erfahren, auch sie hat sich daraufhin gedacht, dass ihr so etwas nie passieren könne. Doch Kera Rachel Cook hat sich gewaltig geirrt und irgendwann einen Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr leben wollte, an dem sie sich fühlte wie ein Zombie. Zehn Jahre hat Cook gebraucht, um ihre Essstörung zu überwinden. Seit Mitte 2015 hält sie Vorträge an Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland. Vorträge, in denen sie die jugendlichen Zuhörer nicht belehrt, sondern aufklärt. Cook appelliert an ihr Verantwortungsbewusstsein und macht ihnen deutlich, dass sie selbst über ihr Leben entscheiden. Als sie am Donnerstagvormittag vor den Siebtklässlern des Remchinger Gymnasiums spricht, ist es mucksmäuschenstill im Singener Paul-Gerhardt-Haus. Die rund 50 Schüler hören ihr aufmerksam zu, stellen Zwischenfragen und trauen sich, selbst das Wort zu ergreifen. „Sie machen echt super mit“, sagt Schulsozialarbeiterin Sigrun Pohnke, die darin ein gutes Zeichen sieht. „Es ist selten, dass Referenten es schaffen, so gut mit den Schülern in den Dialog zu kommen.“ Jedes Schuljahr bietet das Remchinger Gymnasium für die Siebtklässler zum Thema Selbstbewusstsein ein Projekt mit externen Referenten an. Als Cook vor ein paar Jahren schon einmal an der Schule war, hat sich bei der anschließenden Evaluation gezeigt, dass sie bei den Jugendlichen Eindruck hinterlassen hat, dass sich viele von ihnen sogar als Abiturienten noch an ihren Vortrag erinnern konnten.
„Sie kommt bei den Schülern gut an“, sagt Pohnke, die das vor allem auf ihre authentische, unverkrampfte Art zurückführt, mit der sie die Jugendlichen schnell erreicht. Pohnke weiß, dass die Schüler nicht belehrt werden, sondern eigenverantwortlich entscheiden wollen. Das Thema Essstörungen hält die Schulsozialarbeiterin für äußerst wichtig, denn seit Corona kommt es in ihrer Arbeit neben Phobien und Ängsten in den Beratungsgesprächen mit am meisten vor, allerdings fast ausschließlich bei Mädchen. Pohnke hat den Eindruck, dass die Schüler heute mehr denn je unter Leistungsdruck stehen, der allerdings aus ihrer Sicht nicht von der Schule und den Lehrern ausgeht, sondern vom Umfeld und der gesamtgesellschaftlichen Situation, die in der Wahrnehmung vieler Jugendlicher immer schlimmer wird – auch, weil diese mitten in der Pubertät, mitten im eigenen Entwicklungsprozess Vieles emotionalisieren und weniger rational betrachten. Für Pohnke ist klar: Die von Essstörungen ausgehenden Gefahren sind groß und dürfen nicht unterschätzt werden. Deshalb vermittelt sie die Jugendlichen bei Bedarf an Beratungsstellen, die ihnen kostenlos helfen können. Auf sie verweist auch Kera Rachel Cook in ihrem Vortrag immer wieder. Sie sagt den Siebtklässlern, dass es völlig in Ordnung und kein Zeichen von Schwäche ist, sich Hilfe zu suchen. Denn einer Sucht kann man allein so gut wie nicht entkommen.
Cook weiß, wovon sie spricht. Sie fing schon früh mit dem Modeln an, arbeitete international, nahm sogar an der umstrittenen Fernsehsendung „Germany’s Next Topmodel“ teil und belegte den 19. Platz. Trotzdem sah sie im Spiegel immer ein hässliches Entlein, trotzdem kam sie an ihre psychischen und körperlichen Grenzen. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass sie später in den Plus-Size-Bereich wechselte, in dem Models ein paar Kilo mehr haben dürfen. Obwohl das Modeln für sie zwischenzeitlich wie eine Droge war, hat ihr Umfeld lange nichts von ihren Problemen mitbekommen. Denn selbst eine ausgeprägte Essstörung lässt sich relativ leicht verheimlichen – im Gegensatz zu den meisten substanzgebundenen Süchten. Zweimal sei sie in Behandlung gewesen, erzählt Cook den Remchinger Schülern. Zehn Jahre habe sie gebraucht, um ihre Essstörung zu überwinden und ein glückliches Leben zu führen. Aber sie habe auch viele kennengelernt, denen das nicht gelungen sei. „Selbstliebe ist der Schlüssel zum Leben“, ruft sie den Jugendlichen zu. Und betont, wie wichtig es ist, mit sich, seinem Leben und seinem Körper zufrieden zu sein und sich nicht an den perfekt inszenierten und stundenlang nachbearbeiteten Fotos zu orientieren, die viele Influencer in den sozialen Medien teilen. „Eure Stärken sind das, was Euch ausmacht“, sagt sie den Jugendlichen am Ende ihres Vortrags: „Ihr allein habt die Verantwortung für Euer Glück.“ Ermöglicht wurde das Projekt vom Förderverein des Gymnasiums und der Krankenkasse AOK. In den kommenden Tagen soll es im Unterricht nachbesprochen werden. – Nico Roller
Kera Rachel Cook (links) hat den Siebtklässlern des Remchinger Gymnasiums von ihrer Essstörung erzählt. Und ihnen erklärt, wie man verhindert, dass es überhaupt soweit kommt. Schulsozialarbeiterin Sigrun Pohnke hält ihren Vortrag für äußerst gelungen.