...das war die Devise des Literatur- und Theaterkurses der Oberstufe im ersten Schulhalbjahr 22/23. Literatur- und Theater ist ein Wahlfach, das man ab der Oberstufe zusätzlich zu den vorgeschriebenen Kursen wählen kann. So fand auch dieses Jahr wieder eine kleine Gruppe aus 10 Schülerinnen der 11. und 12. Klasse zusammen, die motiviert waren, ein Theaterstück auf die Beine zu stellen.
Unter der Leitung von Frau M. Bissinger haben wir nach und nach die Grundlagen des Theaterspielens erlernt. Es gab zum Beispiel Theorieimpulse für die Körperhaltung, Requisiten oder die Bewegung im Raum. Gelernt haben wir Vieles, was für das Theaterspielen wichtig ist und das Improvisieren erleichtert. Jedoch stand nicht die Theorie im Vordergrund, wie es in vielen anderen Schulfächern der Fall ist, sondern das Improvisieren von Szenen. So bildete der Kurs einen eindeutigen Ausgleich zu den „normalen“ Kursen.
Im Laufe der ersten Wochen haben wir ein Theaterstück ausgewählt, auf welchem die improvisierten Szenen basieren sollten. Das gesellschaftskritische Drama „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat und Jens Hillje spielt passenderweise in der Schule und war somit perfekt geeignet für das Erschaffen von neuen Szenen, welche am Ende des ersten Halbjahres in einer sogenannten Werkschau aufgeführt werden sollten. Die Lehrerin Sonja Kelich (Frieda Albert/ Elsa Ringelschwendner) versucht darin ihren migrantischen und disziplinlosen Schülern Mariam (Maja Fessner und Carolina Cardella), Latifa (Julie Höll), Musa (Annika Holm), Ferit (Hanna Schroth) und dem Streber Hassan (Julia Langhof) die Werke von Schiller näher zu bringen, dabei stößt sie jedoch auf taube Ohren. Erst als dem Schüler Musa eine Waffe aus der Tasche fällt, sie diese ergreift und die Schüler als Geiseln nimmt, kommt langsam richtiger Unterricht zustande. Dieser ist gespickt mit interessanten Konflikten zwischen verschiedenen Kulturen, Werten und sozialen Hintergründen, Humor und Momenten, die einen nachdenklich machen. Die Autoren des Stückes spielen hierbei mit den verschiedenen Klischees und Vorurteilen, die es über türkischstämmige Menschen in Deutschland gibt: so tauchen in dem Stück beispielsweise immer wieder stereotypische Gesten auf. Das Theaterstück wird dabei immer wieder durch Szenen aus Schillers Werken „Die Räuber“ und „Kabale und Liebe“ unterstützt. Beim Lesen des Skriptes des Theaterstückes haben wir uns jeweils eine Rolle ausgesucht, die wir persönlich besonders interessant fanden und verkörpern wollten. Teilweise wurden die Rollen doppelt besetzt und der Kurs hat sich so in zwei Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe hatte jeweils zwei Szenen geschaffen, die zusammengesetzt ein spannendes, lustiges, jedoch auch nachdenklich machendes Stück ergaben. Je öfter die Szenen gespielt wurden, desto mehr etablierte sich ein fester Ablauf, ohne dass wir die Szenen aufgeschrieben haben. Diese Szenen setzten sich aus improvisierten Dialogen sowie Textpassagen aus dem originalen Stück zusammen. So wurde die zentrale Handlung nicht verändert, sondern nur auf unsere eigene Art und Weise neu interpretiert. Da es jedoch aus zeitlichen Gründen schwieriger ist, ein komplettes Theaterstück in zwei Schulstunden pro Woche auf die Beine zustellen, haben wir uns an einem Samstag kurz vor der Aufführung in der Schule getroffen, um das gesamte Theaterstück mit Licht- und Tontechnik einzuüben, aber auch einige Teile des Theaterstückes zu überarbeiten und neu zu überdenken. Dieser Tag machte einen deutlich sichtbaren Unterschied in unserer Szenengestaltung und bei der schauspielerischen Umsetzung. Am Ende des Tages waren wir bereit für die Werkschau, die dann endlich am Dienstag den 17.1.2023 stattfand.
Diese Werkschau zeigte das Ergebnis der monatelangen Arbeit und war ein voller Erfolg. Alle Sitzplätze waren belegt, es mussten sogar noch Stühle dazugestellt werden. Nach anfänglicher Aufregung hatten wir uns gut in die Szenen und das Theaterspielen eingefunden. Die Aufführung verlief reibungslos. Es entstand ein spannendes Spiel zwischen witzigen, aber auch schockierenden Momenten. Ziel des Theaterstückes war es, den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen, was es eindeutig erreicht hat, wie uns nach der Aufführung in einer kurzen Gesprächszeit widergespiegelt wurde. Diese Zeit bot dem Publikum den Raum mit uns Schauspielerinnen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und Gedanken zum Stück zu äußern. Manche Zuschauer hatten Fragen zur Entstehung des Stückes, zur Umsetzung des ursprünglichen Dramas, andere wollten ihre Gedanken zur Migrations- und Schulthematik äußern. Dass das Stück den Nerv der Zeit getroffen hat, war deutlich an den Reaktionen des Publikums zu erkennen. Man konnte wahrnehmen, dass viele geschockt oder nachdenklich waren. Ein Zuschauer stellte uns die Frage, ob die heutigen Schüler alle so seien, wie sie im Theaterstück dargestellt wurden. Zum Glück konnte wir dies verneinen, da es auf den Großteil der Schüler nicht zutrifft. Es kommt besonders darauf an in welchen sozialen Milieus die Schüler leben. Auch die Migrationsdebatte, die den zentralen Aspekt des Stückes darstellt, wurde kurz in der Runde angesprochen. Es wurde ein Bezug zur Silvesternacht hergestellt, in der es in mehreren Städten Auseinandersetzungen und Kravalle gab, die die Migrationsdebatte wieder ins Rollen gebracht haben.
Migration ist und bleibt ein heißes Thema, was uns durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Stück wieder vor Augen geführt wurde. Am Ende des Abend war jedoch auch unter uns Schauspielerinnen die Erleichterung spürbar, dass das Theaterstück in erster Linie Fiktion ist und keine von uns selbst jemals in einer solchen Situation war. Trotzdem ist es wichtig, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Wir freuten uns sehr, dass so viele Zuschauer gekommen waren, die wir in unterschiedlicher Weise durch das Theaterspielen bewegen und zum Nachdenken anregen konnten. Wir Schauspielerinnen waren am Ende erleichtert und stolz, dass wir das Stück, an dem wir monatelang geübt haben, endlich aufführen konnten. Die Arbeit und die Überstunden haben sich gelohnt, darüber waren wir uns einig. So gingen sowohl Publikum als auch wir mit gemischten Gefühlen nach Hause. Zum einen mit der Erleichterung über einen gelungenen Abend, aber auch mit der Frage im Kopf, wie mit verschiedenen Herkünften und Kulturen umgegangen werden soll und wie man ein friedliches Zusammenleben erreichen kann.
von Frieda Albert, Jg1