Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer tauscht sich mit Schülern des Remchinger Gymnasiums aus
Remchingen (zac). Die Spanisch-Vokabeln haben Svenja Metzger und ihre Mitschüler gestern Morgen gerne zur Seite gelegt, denn wann sonst haben die Elftklässler des Remchinger Gymnasiums schon das Glück, Besuch zu bekommen vom Patenonkel einer guten Freundin der Wirtschaftslehrerin, der den meisten besser bekannt ist als Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, und die Chance, ihm aus nächster Nähe Fragen zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen zu stellen?
Einen Dialekt-Dolmetscher braucht der 62-Jährige, der sich vor einer Diskussionsrunde mit über 100 regionalen Arbeitgebern beim Wilferdinger Unternehmen Güldner offen und sympathisch vor die Schüler stellt, nicht, schließlich hat er in Karlsruhe studiert. Seit er die Arbeitgeber-Präsidentschaft Ende 2013 von Dieter Hundt übernommen habe, sei er im Schnitt zwei Tage pro Woche mit Fragen und Verhandlungen vom Mindestlohn bis zum Freihandelsabkommen beschäftigt, leite an drei weiteren Tagen das familieneigene Unternehmen mit 300 Mitarbeitern in Bremerhaven und versuche, das Wochenende für Familie und Freunde freizuhalten.
Der Wilferdinger Linus Lindermeir entfacht das Fragenfeuer: „Wie stehen Sie zur Sanktionspolitik der EU gegen Russland, die ja auch Nachteile hat für die Wirtschaft?" Kramer hält klar dafür: „Wenn jemand seine Grenzen mit militärischer Gewalt ändert und Rechte nicht respektiert, nehmen wir wirtschaftliche Schwierigkeiten bei uns in Kauf, um Russland zu zeigen, dass die rote Linie überschritten ist." Schülersprecher Phillipp Schelling spricht den Mindestlohn an. Ein durch Tarifverträge geschaffener Mindestlohn sei kein Problem für die deutsche Volkswirtschaft, wohl aber ein vom Staat gesetzlich geregelter, differenziert der Präsident: „Der Staat hat sich eine Zahl ausgedacht ohne regionale und brachen-typische Leistungsfähigkeiten zu berücksichtigen."
Die 16-Jährige Svenja Metzger aus Singen interessiert die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, wenn es im Zuge des demographischen Wandels 2030 nur noch 38 statt 43 Millionen Erwerbstätige gäbe. Zwei Ansätze des Bremerhavener Unternehmers: Über eine Million junge Erwachsene zwischen 20 und 29 Jahren aktivieren, die keine Berufsausbildung haben – „Da bringt es nichts, mit dem Finger auf Schulen oder Elternhäuser zu zeigen, wir müssen Defizite suchen und nachschulen" – und sich völlig anders mit dem Potenzial der Zuwanderer beschäftigen: „Anstatt zu fragen, wen wir nicht haben wollen, müssen wir fragen, wen wir haben wollen und dürfen die Zuwanderer nicht in Wohnblocks einsperren, sondern müssen sie so schnell wie möglich mit Deutschunterricht integrieren."
Auch der von Tobias Kern angesprochene Atomausstieg, dessen Grundsatzentscheidung Kramer nach den Fukushima-Folgen nachvollziehen könne, nicht aber die katastrophale operative Umsetzung, ist Thema der Schulstunde, die ein Schüler kurz vor dem Gong mit der Frage nach Kramers Meinung zur Griechenland-Hilfe beendet. Der zweite Vorsitzende der der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, selbst zeitweise auf dem Seenotrettungskreuzer im Einsatz, macht einen Vergleich: „Bei euch ist es nicht anders als in der EU: Freundschaften müssen zusammenstehen, wenn man in Not ist."