Meet a jew
Wie lebt es sich als Jude in Deutschland? Was ist anders? Oder ist das ganze Ding mit der Religion gar nicht so anders? Sechstklässler des Remchinger Gymnasiums haben bei jungen Juden nachgefragt.
Was ist das Erste, das Schüler mit dem Wort „Jude“ verbinden? „Oft fällt sofort der Antisemitismus“, verdeutlicht Mascha Schmerling, „Aber es wäre doch viel schöner, wenn es unsere Feste Jom Kippur oder Chanukka wären. Als Deutscher im Ausland möchte man ja auch nicht als Erstes auf die Zeit des Nationalsozialismus angesprochen werden.“
Die Verknüpfung aus dem Geschichtsunterricht sei weiter wichtig – sollte aber eben nicht die einzige bleiben. Schmerling koordiniert das vom Zentralrat der Juden initiierte und vom Bundesfamilienministerium geförderte Projekt „Meet a jew“.
Dabei besuchen vor allem junge Juden Schulen oder Vereine und erzählen mitten aus ihrem Alltag erzählen – eine Gelegenheit, die sich bei nur 200.000 Juden in Deutschland oft nicht von selbst ergibt.
„Wir sind eben nun mal eine Minderheit“, so Schmerling, deren Team das abstrakte Bild in der Gesellschaft aufbrechen und ihm unterschiedliche Gesichter geben möchte.
Unser jüdisches Leben ist genauso divers und cool wie eures. (Nastia)
Schließlich gebe es „den“ Juden genauso wenig wie „den“ Christen, Moslem oder Atheisten, erklärten die beiden Studentinnen Nastia und Julia zusammen mit dem Computeringenieur im Ruhestand David Holinstat am Dienstag den Sechstklässlern des Remchinger Gymnasiums.
„Unser jüdisches Leben ist genauso divers und cool wie eures“, berichtete die 20-Jährige Nastia, die neben dem Studium in Mannheim in ihrer Freizeit leidenschaftlich gerne tanzt, sich mit Freunden trifft oder während des Lockdowns Netflix schaut – und am Wochenende anstatt zur Kirche in die Synagoge geht, dort auch Jugendarbeit macht.
Schüler kommen online schnell ins Gespräch
„Genau wie alle anderen mache ich, was mir Spaß macht – und was erlaubt ist.“ Selbst wenn der koschere Speiseplan vorsehe, fleischige und milchige Speisen zu trennen, dürfe auch mal Sahnegeschnetzeltes auf den Tisch kommen, ergänzte Julia: „So wie jeder Gläubige für sich selbst entscheiden kann, welche Regeln ihm für seinen Glauben besonders wichtig sind.“
Da der im Unterricht fest verankerte Besuch der Pforzheimer Synagoge coronabedingt ausfallen musste, entschieden sich die Fachlehrer Katharina Heiderich und Michael Tinkl mit ihren Ethik- und Religionsschülern an zwei Nachmittagen für dieses Austauschformat.
Und sie stellten begeistert fest, wie schnell die aufgeweckten Schüler ins Du und Du mit den jungen jüdischen Gästen kamen und eifrig eine Frage nach der anderen stellten.
Wann und wie oft sie beten, welche Feste sie feiern und welche Parallelen zwischen Judentum und Islam bestehen, wollten sie ebenso wissen wie die Gründe der Beschneidung und ob David auf dem Schofar-Horn blasen könne, was er gekonnt unter Beweis stellte.
Viele Fragen an die jungen Juden
Aber auch, ob sie „wegen ihres Glaubens arg viel anders behandelt“ oder „fertiggemacht werden“, fragte ein Schüler, während ein anderer berichtetet, wie ein Sportsfreund bei einer Bubelei als „fetter Jude“ beschimpft wurde.
„Ob Haarfarbe, Name oder Brille: Wenn die Leute etwas finden wollen, finden sie immer etwas“, erklärte Nastia. Wirklich antisemitisches Gedankengut sei zum Glück nur noch in wenigen Köpfen vorhanden – aber eben auch nicht weg: „Aber ihr kennt uns ja jetzt und könnt in solchen Situationen sagen: Das stimmt so nicht, Juden sind doch ganz normale Menschen!“
(Bericht und Bilder von Julian Zachmann)